Inflation ante portas?
Deka-Chefvolkswirt Dr. Ulrich Kater
Die Sorge vor einer unheilvollen Geldentwertung, also vor stabilitätsgefährdenden Preissteigerungen und daraus resultierenden hohen Inflationsraten treibt viele Menschen immer wieder um, so auch jetzt in Corona-Zeiten. In nie gekannter Weise fluten die Zentralbanken die Märkte mit Liquidität und ziehen ihre riesigen Anleihekaufprogramme durch.
Der Parallelflug von expansiver Geld- und Finanzpolitik lässt sich exemplarisch an den USA zeigen: Dort wurden in den letzten acht Wochen Staatsanleihen im Volumen von grob 1.500 Mrd. US-Dollar ausgegeben, und in mehr oder weniger gleichem Umfang erhöhte sich die Bilanz der amerikanischen Notenbank Fed. Das bedeutet, dass diese die Corona-bedingt stark gestiegene Staatsverschuldung komplett auf die eigenen Bücher genommen hat. Das muss doch – so die Sorgen – eine Inflationswelle auslösen. Zumindest im April war davon beim Blick auf die am 12. Mai 2020 gemeldeten Inflationsdaten in den USA noch nichts zu spüren.
Und wo ist die Inflation bei uns in Euroland? Hier agieren doch Geld- und Finanzpolitik ebenfalls gemeinsam mit einer enormen Schubkraft. So wichtig ein stets waches Auge ist, und so richtig die Wahrnehmung der deutlich steigenden Nahrungsmittelpreise in der Bevölkerung ist, so klar ist doch aktuell die Einschätzung der Volkswirte und der Finanzmarktteilnehmer: Die Inflationserwartungen an den Märkten sind auf dem Rückzug. Und das ist nicht allein mit den kollabierten Energiepreisen zu erklären. Denn die langfristigen Inflationserwartungen sind hierzulande zuletzt ebenfalls stetig zurückgegangen und liegen inzwischen nur noch bei 0,8 Prozent. Damit befinden sie sich weit unter dem Ziel der Europäischen Zentralbank einer Inflationsrate von knapp 2 Prozent. Dies lässt für eine noch lange Zeit extrem niedrige Zinsen erwarten. Dazu passt, dass die konjunkturelle Erholung – wie von uns erwartet – zögerlich anläuft. Einzelhändler erleben hierzulande nach der Öffnung der Geschäfte nur eine begrenzte Konsumlaune ihrer Kunden. Immerhin setzen sich die Lockerungsmaßnahmen in Europa fort.