„Eine Sparkasse muss sich weiterentwickeln“
Die Stadtsparkasse München hat dieser Tage rund 28.000 ihrer Kunden überrascht und verärgert: Sie erhielten Briefe, dass sie ihre langjährig laufenden Prämiensparverträge verlieren werden – und damit auch einen Haufen Geld. Solche Kündigungen gab es auch in Landshut, Bayreuth, Fürstenfeldbruck und Nürnberg. Wie sieht es in Passau aus?
Christoph Helmschrott: Unsere Kunden wurden diesbezüglich nicht überrascht. Wir führen in etwa 6.000 Verträge, die diese Prämienzahlungen und diese Laufzeit haben. Der Aufwand dieser Verträge an Zins und an Prämien beträgt in der Gewinn- und Verlustrechnung der Sparkasse über drei Millionen Euro pro Jahr. Wir sprechen seit Juli mit fast jedem dieser Kunden und haben fast jeden erreicht. Wir haben unsere Kunden darauf hingewiesen, dass wir an die Kündigung herangehen werden müssen. Dieses Vorgehen und diese Offenheit kommen insgesamt gut an. Eine große Zahl der Verträge ist inzwischen aufgelöst, weil wir den Kunden Alternativen angeboten haben. Wir haben aufgezeigt, dass sie trotzdem die Jahresprämie erhalten, wenn sie den Vertrag auflösen. Es gab hierzu verschiedene Möglichkeiten mit Bonuszahlungen und Vergünstigungen. Ich denke, der Kunde fühlt sich in seiner Entscheidung, den Vertrag selbst aufzulösen, gut behandelt.
„Die 2.000 Kündigungen davor lange abgewogen“
Der nächste Schritt ist jetzt, diejenigen, die unseren Auflösungsvorschlag nicht aufgenommen haben, anzuschreiben. Dies sind knapp 2.000 Kunden. Deren Verträge werden von unserer Seite aus gekündigt. Das haben wir am Donnerstag vergangener Woche gemacht. Die Schreiben sind bereits versandt.
Wir haben lange abgewogen, ob wir diesen Schritt gehen. Am meisten beschäftigt hat uns, dass wir unseren Kunden, die diese Verträge bewusst mit einer langen Laufzeit abgeschlossen haben, jetzt das frühzeitige Ende mitteilen. Dass das beim Kunden sicher kein Wohlgefühl auslöst, ist uns bewusst und tut uns leid. Ja, der Vertrag hat eine lange Laufzeit, kann aber im normalen Fall seitens des Kunden mit dreimonatiger Kündigungsfrist gekündigt werden. Wenngleich das nicht der Ursprungsgedanke war, steht nun die Kündigung durch die Sparkasse an. Die Rahmenbedingungen haben sich heute grundlegend verändert und erfordern dies, Gerichte bestätigen den sachgerechten Grund. Man sollte sich dennoch vergegenwärtigen – der Vertrag war für Kunden über mindestens 15 Jahre ein richtig tolles Produkt mit attraktiven Renditen. An der Vergangenheit hat sich nichts geändert, aber in der Zukunft können wir das so nicht weiterführen.
Die anhaltenden niedrigen Leitzinsen der Europäischen Zentralbank (EZB), wegen denen für Kreditinstitute immer schwerer Geld mit dem klassischen Zinsgeschäft zu verdienen ist, dürften wohl noch länger so bleiben. Gibt es Gegenmaßnahmen bei der Sparkasse Passau, zumindest Gedankenspiele…?
Christoph Helmschrott: Wir als Sparkasse Passau haben uns 2016 und 2017 intensiv damit beschäftigt, weil wir vorher gesehen haben, wohin sich unsere Rahmenbedingungen entwickeln. Wir haben uns ein Ziel – eine Vision 2030 – erarbeitet, in der es hautsächlich darum geht, mit welchen Leistungen und mit welchen Preisen wir bei unseren Kunden attraktiv bleiben können. Ein paar Beispiele: Erst vor zwei Wochen haben wir unseren Bargeld-Service für gewerbliche Kunden ins Laufen gebracht. Wir übernehmen damit die Ver- und Entsorgung unserer Händlerkunden mit Bargeld – eine neue Dienstleistung der Sparkasse. Wir haben Giro-Fachberatung eingeführt, die Gewerbekunden dabei hilft, die modernen Zahlungswege, die sehr vielfältig sind, in ihren eigenen Unternehmen zu überprüfen bzw. einzuführen. Wir haben zusammen mit unseren Erbrechtstagen das Generationen-Management eingeführt, wo sich unsere Privatkunden beraten lassen können, bezüglich der sinnvollen Übertragung ihres Vermögens an Nachkommen. Zusammen mit einem Netzwerk von Notaren, Rechtsanwälten und Steuerberatern wollen wir Kunden damit rechtzeitig zu einer guten Lösung verhelfen. Kurzum: Wir haben uns in vielen Themen auf den Weg gemacht und haben weitere in der Entwicklung. Aber freilich machen wir uns weiterhin Gedanken: Sind wir ausreichend effizient? Müssen wir an den Abläufen und Ressourcen etwas optimieren? Es ist ein stetiger Prozess. Mit eher weniger Mitarbeitern ist immer mehr zu bewerkstelligen. Die Digitalisierung wird uns dabei helfen.
„Negativzinsen auch für Privatkunden“ sind immer mehr in den Medien thematisiert… Gibt es solche Andeutungen schon bei Neukunden, die bei der Sparkasse Passau ein Girokonto anlegen und in den Verträgen für solche „Eventualitäten“ unterschreiben müssen, wie dies in München seit 1. Oktober der Fall ist?
Christoph Helmschrott: Ich wünschte mir in der ganzen Zinsdiskussion, dass die Menschen, die es besser wissen – in der überregionalen Politik und in den Zentralbanken – helfen, eine aufrichtigere Diskussion zu führen und den Menschen erklären, warum die Zinssituation so ist, wie sie ist. Vor allem, dass das kein Tun der Banken ist, sondern dass große volkswirtschaftliche Zusammenhänge zum jetzigen Zinsniveau führten. Diese Entwicklung hat zur Freude von Kreditkunden zu historisch niedrigen Finanzierungszinsen geführt. Kaum darüber gesprochen wird, dass der Rückgang bei Anlegern schon heute eine negative Verzinsung zwischen Minus 1,5 bis 2,0 % auslösen müsste. Dies wird jedoch so nicht an die Anleger weitergereicht, sondern – noch – von Banken und Sparkassen abgefedert bzw. aufgefangen. Eine (politische) Aussage, Negativzinsen zu verbieten, halte ich deswegen für unsachlich und unfair. Und eigentlich müsste die Politik den Banken danken, dass diese Negativzinsen bisher nicht weitergeben und versuchen, die Sparer zu schützen. Selbst wenn die EZB von heute auf morgen die Zinspolitik grundsätzlich verändern würde: Null- bzw. negative Zinsen werden wir noch viele Jahre in unserer Branche spüren. Den Kapitalmarkt wird das noch jahrelang beschäftigen. Aber es gibt derzeit ohnehin kein Anzeichen, dass die EZB die Zinspolitik ändert.
Zu Ihrer Frage: Bei großen Einlagen haben wir heute schon Kunden, die Verwahrentgelt beziehungsweise Negativzinsen bezahlen. Aber wir schließen mit unseren Kunden keine solche Vereinbarungen − auch nicht mit neuen Kunden. Aber wir müssen da sicher auf Dauer umdenken und einen Lernprozess mitmachen. Keiner von uns hat in der Schule irgendwann mal gehört, dass man für eine Einlage was bezahlen muss. Eigentlich eine völlig fremde Welt momentan. Dafür gibt es heute andere wichtige Themen: Die Sicherheit meines Geldes. Oder: Was macht die Sparkasse mit meinem Geld, wie wird es verwendet? Das spielt gerade für junge Menschen eine Rolle. Was habe ich für sonstige Anreize zu sparen, auch wenn es keine Zinsen mehr gibt? Es gibt ja auch Alternativen: das klassische Wertpapier-Sparen, Investmentfonds, Dauerauftrag für ein Anlagekonto, Bausparen, Gold-Sparplan oder betriebliche Altersversorgung, wo man sich gemeinsam mit dem Arbeitgeber zusammen mit der Sparkasse oder Versicherungen eine Zusatzrente aufbaut.
Während Baukredit- und Konsumkreditzinsen zuletzt zunehmend nach unten gingen, blieben Dispokreditzinsen für den Fall, dass Kunden ihr Konto mal überziehen, relativ hoch. Im deutschen Sparkassen-Durchschnitt gut 10,35 Prozent, und damit höher als bei Mitbewerbern (9,68 Prozent). Wie kann man das der Kundschaft erklären?
„Dispokredit-Höhe ein Lieblingsthema der Medien“
Christoph Helmschrott: Zunächst: Jede Sparkasse legt ihre Zinskonditionen selbst fest. Der Zinssatz für Dispokredit ist höher, weil er immer nur für kurze Ausleihungen und Verwendungszwecke gedacht ist. Ich habe extra nachgesehen: Es lässt sich an zwei, drei Händen abzählen, wie viele Kunden bei uns länger als zwei Monate über ihrem vereinbarten Dispokredit hinaus im Minus sind. Wir gehen auf jeden Kunden zu, der sein Konto länger überzogen hat, und führen ihm vor Augen, dass es interessantere Konditionen und Alternativen gibt, in denen er einen festen Kredit vereinbart und monatlich zurückführt. Die Höhe der Dispozinsen liegt mit daran, dass kein geringer Aufwand in der Bearbeitung steckt und diese Kredite meist nur kurzfristig ausgenutzt werden. Aber ich weiß, der Dispokredit ist seit Jahren ein Lieblingsthema der Medien. Er spielt aber in der Sparkassen-Praxis keine große Rolle.
Wie will sich Ihr Unternehmen, das ja zu „rentabler Tätigkeit“ verpflichtet ist, grundsätzlich für die sich abzeichnende längere zinssensible Phase absichern?
Christoph Helmschrott: Die Sparkasse Passau steht zu hundert Prozent zu ihrem öffentlichen Auftrag. Damit liegen unsere Wurzeln in der Region. Der Auftrag hatte ursprünglich den Zweck, Menschen überhaupt die Möglichkeit zu geben, Geld sicher zur Seite zu legen. Später galt es den Leuten zu zeigen, dass Sparen sich lohnt. Und das machen wir auch weiterhin. Der andere Zweck ist, Unternehmen und Private mit Geld und Krediten für Investitionen zu versorgen. Auch das übernehmen wir aus Überzeugung. Hinzu kommt, was wir in der Region mit Spenden und Sponsoring beitragen. Zugegebenermaßen wird alles dies im aktuellen Umfeld schwieriger. Die Herausforderungen nehmen wir jedoch an. Wir sind – im Vergleich zu andern Banken – sicher schon ein paar Jahre voraus und haben uns mit den vorher erwähnten Beispielen gut auf den Weg gemacht. Es ist ein Ausbauen von Leistungen in einem Umfeld, wo Digitalisierung eine enorm wichtige Rolle spielt, wo sich Abläufe durch Kundenwünsche verändern, wo Filialen deutlich weniger Frequenz haben, wo unser Internet-Auftritt ebenso ausgebaut wird. Wie die Sparkassen-App, die übrigens seit Jahren die bestbewertete Finanz-App ist. Unser Internet-Auftritt erfährt große Resonanz. Und das ist Teil unseres Zielbilds. Aber das Wesentliche wird sein, dass wir vor allem Beratungsleistungen ausbauen und Kunden Nutzen bieten.
Beratungen wurden früher vor allem in Filialen mit den Beratern des Vertrauens angeboten. Sind dort Einsparmaßnahmen geplant, um eventuelle Zinsgewinn-Rückgang zu kompensieren? Zum Beispiel Rationalisierungen bei Personal oder die ein oder andere Zweigstelle, die vielleicht geschlossen werden könnte? Sicher ein sensibles Thema…
Christoph Helmschrott: Das ist deswegen nicht sensibel, weil wir gute Vorgehensweisen haben. Das Thema „Filialschließungen“ ist derzeit nicht angesagt. Ich kann das aber nicht für alle Zukunft ausschließen. Die Filialen sind ja für uns – Sie haben es gesagt – die Orte, wo unsere Beratungen stattfinden sollen. Wir haben zwar die Servicezeiten verringert, jedoch die Zeiten für Beratungen ausgebaut. Morgens von acht bis abends um acht sowie am Samstagvormittag stehen wir gerne für Termine bereit. Die Servicezeiten werden sich in Zukunft insgesamt wohl weiter reduzieren, weil immer mehr Service im Internet, über die Sparkassen-App, am Telefon oder über andere Medien läuft. Es gibt Kunden, die wollen ihr Geschäft nur in der Filiale erledigen. Und es gibt immer mehr Kunden, die es gewohnt sind, ihre Geschäfte nie in der Filiale zu machen. Wir wollen möglichst gut beiden gerecht werden.
Zum Thema Personal: Wir wissen, wie viele Mitarbeiter wir in den nächsten vier, fünf Jahren sein wollen. Das sind weniger als heute. Wir wissen ebenso, wann Mitarbeiter in Pension oder Altersteilzeit gehen. Und wir wissen, wie viele Azubis wir einstellen werden. Das sind übrigens derzeit wieder mehr als in den letzten Jahren. Wir kennen also unsere Demographie in der Sparkasse und werden dafür in den kommenden Jahren weiter die Abläufe effizienter gestalten und die Digitalisierung nutzen. Für manche Themen fällt mittlerweile gar keine Folgebearbeitung mehr an – zum Beispiel bei Überweisungen im Internet. Die Digitalisierung wird ganz sicher ein großer Effizienzhebel. Dem können und wollen wir uns auch nicht verschließen. Derzeit – Stand Ende 2018 – haben wir 610 Mitarbeiter.
„Ich weiß: Ich habe ein schönes Einkommen“
Die Bild-Zeitung deutete dieser Tage an, dass Sparkassen in Deutschland nach wie vor „steigende Jahresüberschüsse“ erzielen und nach wie vor „Gewinne aus Zinsgeschäften sprudeln“. Auch für „üppige Gehaltserhöhungen der Vorstände ist genügend Geld da“.
Christoph Helmschrott: Es ist nicht so, dass es für mich und meine Kollegen in den letzten Jahren große Erhöhungen gab oder dass dies vorgesehen wäre. Ich weiß, ich habe ein schönes Einkommen. Nein, es ist nicht vorgesehen, dass dies jedes Jahr deutlich ansteigen würde.
Sie sind seit Herbst 2014 Vorstandschef der Sparkasse Passau. Sind es – mit Blick auf die zinssensiblen Zeiten aktuell und wahrscheinlich auch in naher Zukunft noch – Ihre schwierigsten und herausforderndsten Zeiten?
Christoph Helmschrott: Vorstandsvorsitzender in einer Sparkasse ist schon per se eine anspruchsvolle Aufgabe – auch schon der Weg dorthin. Mein Werdegang hat mich dabei durch ein paar Stationen in Deutschland geführt. Wir stecken derzeit in einem Prozess mit großen Strukturveränderungen, wie es ihn in anderen Branchen auch gab – sei es in der Energiewirtschaft, in der Stahlindustrie oder auch bei Ihnen in den Medien. Hinzu kommen konjunkturelle Schwankungen und politische Rahmenbedingungen, die sich ändern. Meine Aufgabe sehe ich darin, das Geschäftsmodell einer Sparkasse, das es seit gut 200 Jahren gibt, so weiterzuentwickeln, dass es auch in der Zukunft gut funktioniert. Und ich habe den Eindruck, dass das – zusammen mit meinen Kollegen im Vorstand und unseren Mitarbeitern – eigentlich ganz gut gelingt (schmunzelt). Auch die allermeisten Kunden sehen ihre Erwartungen erfüllt. Eine Sparkasse muss sich weiterentwickeln – wir dürfen nicht so bleiben wie vor 10, 20 Jahren. Das ist sicher auch für mich eine Herausforderung – aber nicht nur als schwierig zu sehen. Es ist eine wertvolle Chance, so ein Unternehmen in einer spannenden Zeit mitzugestalten, weiterzuentwickeln, voranzubringen. Und hoffentlich darf ich dann in 10, 15 Jahren sagen: Es hat gut funktioniert.
Interview: PNP, Christian Karl